Leserbrief zu „Abacus weitet Klage auf 28 Gemeinden aus“ von Regula Weik in der Ostschweiz am Sonntag vom 27. September 2015:
Interessenkonflikte statt Wettbewerb
In der letzten Ausgabe berichtete die Ostschweiz am Sonntag über die simultan publizierte Vergabe von 28 Softwareaufträgen durch St. Galler Gemeinden an die Verwaltungsrechenzentrum AG St. Gallen (VRSG). Diese Vergaben wurden freihändig vorgenommen, obwohl die beschaffungsrechtlichen Schwellenwerte für eine Ausschreibung anscheinend zumindest bei einigen Gemeinden jährlich überschritten werden. Die Softwareherstellerin Abacus aus Wittenbach hat beim Verwaltungsgericht gegen alle 28 betroffenen St. Galler Gemeinden Beschwerden eingereicht. Weiteren 20 St. Galler Gemeinden droht sie juristische Schritte an.
Im Kontakt mit Vertretern von verschiedenen Involvierten im Vergabeprozess kommen Widersprüche zu Tage. Als Hauptargument für die freihändige Auftragsvergabe wird angeführt, dass die technischen Schnittstellen zu anderen Softwareprodukten zur Vergabe an die VRSG zwingen. Würde das in dieser absoluten Form zutreffen, könnte faktisch jeder Softwareauftrag freihändig vergeben werden. Praktisch jedes Softwareprodukt interagiert mit anderen Programmen oder Datenquellen. Dieses vorgeschobene Argument impliziert eher mögliche Mängel bezüglich diesen Schnittstellen bereits bei früheren Ausschreibungen.
Hinter vorgehaltener Hand wird unmissverständlich vom Schutz der Interessen der Gemeinden als Aktionärinnen der VRSG gesprochen. Das scheint der wahre Grund für die freihändige Vergabe der Softwareaufträge zu sein. Über 60 St. Galler Gemeinden sind Teil des Aktionariats der privatrechtlich organisierten VRSG und möchten dieser offenbar Aufträge zuhalten. Bereits dieser Zustand stösst auf, wird aber noch von einer starken personellen Verflechtung von VRSG und den Gemeinden begleitet. Interessenkonflikte sind vorprogrammiert. Von einem wettbewerbsneutralen Verhalten, das die Wettbewerbskommission von den VRSG-Aktionärinnen gegenüber dem Staatsunternehmen VRSG und seinen privatwirtschaftlichen Mitbewerbern fordert, kann keine Rede sein.
Der Wettbewerbseingriff, den die Gemeinden vornehmen, scheint vordergründig ökonomisch sinnvoll zu sein. Die Gemeinden halten der VRSG Aufträge zu, wodurch diese mehr Gewinn erzielen kann und folglich den Aktionären eine solide Dividende abliefert. Langfristig betrachtet verhindert diese möglicherweise rechtswidrige Vergabepraxis aber den Wettbewerb bei Gemeindesoftware. Die VRSG ist faktisch Monopolist im Kanton und kann marktunübliche Preise durchsetzen, die unter dem Strich der Steuerzahler berappen muss. Die Situation in anderen Kantonen zeigt, dass ein freier Wettbewerb möglich wäre. In der fortlaufenden Digitalisierung des öffentlichen Sektors sind effiziente und innovative Softwarelösungen gefordert. Für einen Monopolisten besteht aber kein Anreiz zu Effizienz und Innovation.
Es scheint ein sehr drastisches Vorgehen zu sein, dass Abacus allenfalls gegen über die Hälfte aller 77 St. Galler Gemeinden juristische Massnahmen einleitet. Die Beschwerden ermöglichen es aber dem Verwaltungsgericht, Rechtssicherheit und Transparenz in dieser Angelegenheit zu schaffen, und sind daher zu begrüssen.